Unser Alltag ist unterlegt — wenn wir nicht auf einer Alm Kühe hüten — mit einem Grundrauschen von Phonemen. Abhängig von der Region, in der wir leben, haben diese „kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten des Lautsystems einer Sprache“ (Wiki, man verzeihe mir) durchaus einen Grundtenor. Ich zum Beispiel lebe in Wien.
Die Wiener sind ein leiwandes Völkchen. Sie bewegen weder Lippen noch Zunge gern, sind also ziemlich cool, so wie ihr Humor ohne Erbarmen untergeschoben wird. Davon wusste ich lange nichts, denn ich war ja ein Mädel aus bürgerlichem Hause, da spricht man keinen Dialekt. Glaubte ich.
Bis ich meiner ersten Sprechlehrerin gegenüber saß. Die schlug die Hände über dem Kopf zusammen: „Sie haben ja einen S-Fehler!“. Sie war Deutsche, noch nicht lange in Österreich und hatte noch keine flächendeckende Sprechfehleranalyse ihrer neuen Heimat ausgearbeitet. Denn sonst hätte sie gewusst, dass so gut wie alle Wiener mehr oder weniger einen S-Fehler haben, einfach, weil sie gern nuscheln.
Jetzt fragt ihr: Was? Ein S soll ein Vokal sein? Natürlich nicht. Ein S ist ein Konsonant, wers noch nicht checkt. Aber, da sind wir uns alle einig, der größte Unterschied zwischen dem deutschen Hochdeutsch und dem österreichischen Hochdeutsch ist das Ausformulieren der Vokale.
Um das zu verstehen, machen wir einen kleinen Exkurs. Es gibt
- lange, geschlossene Vokale
- kurze, geschlossene Vokale (selten)
- kurze, offene Vokale
- lange, offene Vokale
- Diphtonge (Umlaute), von Natur aus immer lang
Von den Deutschen hört man gerne „féééatisch“ — bei uns heißt des „fèatik“. In der von Theodor Siebs vor 120 Jahren normierten Hochlautung wirds „fèrtich“ ausgesprochen, das schöne Wort fertig, und entthront beide Seiten gleichermaßen, wenn sie sich selbst zum Vertreter des reinen, dialektfreien Hochdeutsch krönen wollen.
Doch Österreich hat einen Nachteil im Ringen um die Goldmedaille der Sprachkultur. In Österreich gibts nämlich keine Diphtonge. Mia sagn leichthin „läächt“ und nicht „laècht“. Und auch das „òòch“ fällt den Nordischen differenzierter von den Lippen: „aòch“. Mia san halt phonetisch die Kaugummikauer.
Was Hänsel nicht lernt, lernt Hans nimmermehr?
Für Sänger echt traurig. Denn es sind die Vokale, auf denen wir singen, die die Töne tragen, die die Musik machen. Spätestens, wenn ihr eine Aufnahme von euch in vorher/nachher-Manier hört, werdet ihr den Unterschied erkennen. Und weinen. Und klagen, warum ihr euch diesem Thema nicht schon vor Jahren gestellt habt, als eine Weltkarriere noch greifbar schien.
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